Warum die göttliche Schöpfung einen Haken hat
Man stelle sich vor, alle leben im Paradies und keiner bemerkt es. Könnte das passieren?
Das Paradies ist bekanntlich das Land, wo Milch und Honig fließen und einem die gebratenen Tauben buchstäblich in den Mund fliegen. Kurz gesagt, wo alle Wünsche erfüllt werden. Die landläufige Vorstellung beinhaltet zusätzlich, dass das Paradies nicht irgendwo in der Nähe liegt, aber auch nicht in der Ferne, sondern eigentlich nirgendwo. Eher ist es ein Wunschtraum, eine Fata Morgana. Also nicht wahr, nach dem Motto: Schön wäre es.
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Wir müssen arbeiten bis zum Umfallen , wir kämpfen mit Krankheiten und Unzulänglichkeiten und nach einer kurzen Zeit des Rentnerdaseins steht schon der Tod vor der Tür. Und wenn es schlimmer kommt, ist auch das Leben davor eher grausam als gemütlich und möglicherweise wesentlich kürzer. Alles andere als ein Wunschtraum also.
Die biblische Variante des Paradieses, sozusagen die Mutter der Paradiesvorstellung, enthält zusätzlich noch die Komponente, dass die Menschen, hier Adam und Eva, neben allerlei Getier nicht alleine sind, sondern dass sie von Gott geschaffen wurden. Warum er das tat, wissen wir nicht so genau. Vermutlich suchte er nach neuen Aufgaben, nachdem er mit der Schöpfung der Erde schon reichlich zu tun gehabt hatte.
Doch die Menschen begannen sich in ihrem Paradies zu langweilen, um nicht zu sagen, das Leben dort entpuppte sich mehr und mehr eher als Qual. Wenn alle Wünsche erfüllt werden, was bleibt dann noch? Wenn kein Ziel, kein Entsagen, kein Hunger und auch kein Schmerz das Leben begleitet oder die Richtung angibt, wo kommt dann noch die Freude, die Lust, das Vergnügen her?
Das konnte Gott nicht länger mit ansehen und entwickelte einen Plan. Er kam offenbar auf die Idee, seiner perfekten Schöpfung ein Ausstiegsszenario zu eröffnen. Er erfand ganz einfach eine Regel, gegen die niemand verstoßen durfte. Sollte dies gewagt werden, würden die Menschen aus dem Paradies in das Gegenteil von diesem, also auf die karge Erde fallen, wo sie mit den wilden Tieren um ihre Existenz zu kämpfen hatten. Erst, wenn es ihnen gelang, zu überleben und ihre Schuld (Karma) mit guten Werken auszugleichen, konnten sie Stück für Stück des Paradieses wiedergewinnen.
War das nicht ein interessantes Spiel? Endlich raus aus der qualvollen Langeweile und hinein ins wilde Abenteuer?
Also wurde in den Apfel gebissen und damit gegen Gottes Gebot verstoßen, so dass es die reinste Lust war. Allerdings war eine der Spielbedingungen, dass sich niemand während seiner irdischen Existenz seiner göttlichen Herkunft bewusst sein durfte. Alle glaubten, dass sie nur dieses eine Leben hatten und deshalb war die Angst vor dem Tod übermächtig. Und gestorben wurde oft auf dieser Welt. Besonders am Anfang der Entwicklung reichte die Zeit, um sich zu vermehren, kaum aus. Hunger, Krankheit, Kriege dezimierte die Zahl der Menschen immer wieder beträchtlich.
Nur mühselig schafften es einige, aus dem Tal der Ahnungslosen in die lichten Höhen der Erkenntnis aufzusteigen, wo sie als Hohepriester, Medizinmänner oder Philosophen eine Vorstellung darüber bekamen, was wirklich passierte. Die große Masse aber blieb gefangen in dem Glauben, dass sich der Sinn des Lebens in der Sicherung der Existenz, in der Vermehrung und allenfalls in kurzen Vergnügungen mit Spiel und Spaß erschöpfte. Dass es die ganze Zeit um ein wirklich großes Spiel ging, das weit über den Tellerrand ihres eingeschränkten Bewusstseins hinaus führte, war ihnen nicht bewusst. Allenfalls ein undefinierter Glaube an Götter und Heilsversprecher deutete in die richtige Richtung. Aber wirklich geholfen hatte es ihnen nicht. Dazu waren sie zu viel mit sich selbst beschäftigt. Erst nachdem sie die Mühle der Wiedergeburten überstanden, ihr Karma abgebaut und erkannt hatten, dass die Welt nur Schein ist und sich der persönliche Tod lediglich auf ihren irdischen Körper bezieht, war das Spiel zu Ende. Das Paradies hatte sie wieder.
So weit, so gut. Wenn man die Realität betrachtet, in der wir leben, vor allem in die Zukunft schaut, was die Entwicklung der Menschheit angeht, dann könnten sich Parallelen aufdrängen. So werden wir dank des medizinischen Fortschritts immer älter. Jetzt im Durchschnitt um die 80, vermutlich bald um die 90, usw. Dass ein Leben rein biologisch gesehen durch den Tod enden muss, diese Regel wird möglicherweise in absehbarer Zeit aufgehoben.
Dies wäre allerdings für die meisten von uns gegenwärtig wohl kaum vorstellbar. Unsterblich zu sein, zumindest nicht an Krankheiten oder Alter zu sterben? Abgesehen von den sozialen und wirtschaftlichen Folgen, wäre es nicht auch ein Leben ohne Sinn? Oder eher eine Chance, frei von Todesängsten die schöpferischen Möglichkeiten eines langen Lebens zu erforschen und zu genießen?
Ich glaube die meisten Menschen können sich ein solches Leben nicht zufriedenstellend vorstellen. Dabei wäre es ja ein Leben im Paradies. Denn die zweite Parallele, die wir heute beobachten können, ist die Entwicklung von elektronischen Spielen, die bis zur Perfektion die Realität nachzuahmen suchen und darin immer besser werden. Es sieht so aus, dass eines Tages die Spielewelten so vollkommen sein werden, dass der elektronische Genuss dem üblichen materiellen Eindruck nicht nur entspricht, sondern ihn sogar bei weitem übertrifft.
D.h. wir werden, wenn wir das wollen, auf den Mond fliegen können, so, als ob es tatsächlich passierte, wie auch als Scheich einen Harem mit hübschen Prinzessinnen unterhalten; ein Festgelage genießen, ohne wirklich zuzunehmen oder als Siegfried den Drachen besiegen können. Eine wunderbare, phantastische Welt kommt da auf uns zu, ob wir wollen oder nicht. Wie werden wir damit klarkommen?
Einige werden sich umbringen, andere die Rückkehr zur Natürlichkeit fordern. Die meisten werden jedoch, darauf könnte man wetten, dem Zauber der Wünsch-Dir-Was-Welt erliegen und damit dort landen, wo der ganze Schlammassel begann. Im Paradies siehe oben.
Und nach einigen Hundert Jahren oder auch ein paar mehr oder weniger, darauf kommt es ja nicht mehr an, werden sich die Menschen anfangen, sich danach zu sehnen, wieder eine richtige Aufgabe zu haben, echte Ängste und unerfüllte Wünsche zu erleben und sie werden ihre Programmierer bitten, eine solche Welt zu entwickeln, in der das glückliche Gefühl dadurch Realität wird, weil sie etwas geleistet haben, etwas geschaffen, wo alles ein Ende hat und vor allem einen Sinn. Und so beginnt die Geschichte wieder von vorne. Ein ewiger Kreislauf. Und wir, die Ahnungslosen, mitten drin.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen